Wir starten heute mit unserer Blog-Artikel Reise durch das neu erschienene Buch „Die digitale Transformation des Qualitätsmanagements“, um in kleinen Stückchen Einblicke in dieses interessante Thema zu ermöglichen. Für unseren ersten Blog-Beitrag durften wir ein Interview mit Dr. Oliver Jöbstl, Mit-Autor des Buches und Geschäftsführer der successfactory management coaching gmbh, führen. Heute geht es um die Entwicklung des Qualitätsmanagements, und wo die Reise aus Sicht von Dr. Jöbstl hingeht.
Herr Dr. Jöbstl – vorab, herzlichen Dank für die Einblicke ins Buch, und dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben.
Herr Dr. Jöbstl, warum ist es so wichtig die historische Entwicklung des Qualitätsmanagements zu betrachten, wenn man wissen möchte, wo die Entwicklung hin geht?
Ich habe unlängst das Zitat von Wilhelm von Humboldt (1767-1835) gelesen: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Das stimmt wohl auch für das Qualitätsmanagement: wenn man die historische Entwicklung im Qualitätsmanagement kennt, dann versteht man besser, wo wir zurzeit stehen und warum, und wir können besser antizipieren, wo die Entwicklung hingehen muss.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die historische Entwicklung mit den verschiedenen Phasen des Qualitätsmanagements in starkem Zusammenhang mit der dahinterliegenden Definition von Qualität steht. Kaum ein anderer Begriff im Management ist so sehr im Wandel wie der Begriff Qualität.
Sie sprechen von Phasen des Qualitätsmanagements. Was kennzeichnet die einzelnen Phasen?
In der frühen Phase der Qualitätskontrolle (Qualität 1.0) war es üblich, Qualitätsbelange von Spezialisten wahrnehmen zu lassen. Die Prüfung und Kontrolle von Qualität am Ende des Prozesses standen dabei im Vordergrund. Sehr oft gab es in Unternehmen eigene Abteilungen, die sich ausschließlich mit der Produktqualität beschäftigten und diese durch umfangreiche Kontrollen sicherzustellen hatten. Qualität wurde damals als reine Produktqualität verstanden, wobei das Soll intern festgelegt wurde (Spezifikationskonformität).
Der Fokus der Produktion bestand primär darin, Menge zu geringen Kosten, aber unabhängig von der produzierten Qualität herzustellen. Die nachgeschaltete Inspektion diente dem Aussortieren von fehlerhaften Teilen und weniger, um Verschwendung oder Ineffizienzen zu beseitigen.
Danach im Zeitalter der Qualitätssicherung (Qualität 2.0) bestand weiterhin das primäre Ziel darin, die Produktivität zu maximieren, jedoch wurde bereits auch vermehrt Augenmerk daraufgelegt, den finanziellen Aspekt von Ausschuss und Nacharbeit zu beleuchten. Erstmals entstanden daraus Prozessstandards, die es einzuhalten galt, um eine akzeptable Qualität sicherzustellen.
Dadurch traten die Beherrschbarkeit und Regelbarkeit der Prozesse stärker in den Vordergrund. Es wurde begonnen, Prozessdaten auszuwerten, viele Unternehmen führten Prozessregelkarten als Standardwerkzeuge ein. Der Begriff Qualität wurde um den Aspekt der Prozessqualität erweitert.
Später wurde Qualität zunehmend zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil und die Erfüllung der Kundenanforderungen wurde daher stärker in den Vordergrund gestellt. Die Kundenzufriedenheit wurde im Zeitalter des umfassenden Qualitätsmanagements (Qualität 3.0) das wesentliche Ziel des Qualitätsmanagements. Initiativen wie die Sicherstellung der kontinuierlichen Verbesserung und Standardisierung von Prozessen bekamen noch mehr Gewicht. Zudem wurden zahlreiche Zertifizierungen entwickelt und angeboten. Ein weiterführendes Ziel war, künftig alle Mitarbeitenden einer Unternehmung im Sinne des Total Quality Managements (TQM) in den Qualitätsprozess einzubeziehen. Qualität wurde zunehmend im Sinne von Unternehmensqualität verstanden.
Am Ende der Phase Qualität 3.0 (Beginn des dritten Jahrtausends) nahm der Wettbewerbs- und Kostendruck weiter zu und zunehmend gewannen die Fragenstellungen nach dem Beitrag des QM zum Unternehmenserfolg an Bedeutung. Six Sigma steigerte daher fortlaufend seine Popularität, da es messbare Erfolge verspricht. Der Begriff der Qualität wurde zunehmend um den Aspekt der Wirtschaftlichkeit erweitert.
Aktuell befinden wir uns in einer Phase, die wir als digitales QM bzw. Qualität 4.0 bezeichnen. Vereinfacht kann man sagen: Alles, was im Kontext von Industrie 4.0 im direkten Zusammenhang mit dem Qualitätsmanagement zu sehen ist, wird als Qualität 4.0 bezeichnet.
Es geht also darum, die Möglichkeiten durch Digitalisierung, Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz zu nutzen, um weitere Qualitätssteigerungen zu erzielen. Qualitätssteigerungen einerseits im Sinne einer erhöhten Kundenzufriedenheit und -bindung und andererseits in der Vermeidung von Fehlern sowohl in Produktion als auch Entwicklung.
D.h. „Qualität 4.0“ ist nicht nur ein Modewort, sondern bietet große Chancen für Organisationen?
Wenn man lange im Managementbereich tätig ist, muss man bei Modewellen immer schmunzeln. Sehr oft wird bei einer Modewelle alter Wein in neuen Schläuchen serviert. Und erfahrene Qualitätsmanager reagieren zu Recht allergisch darauf, wenn dann eine neue Wunderlösung verkauft wird und das bisherige Geleistete gar nicht berücksichtigt wird.
Wir, in der successfactory, haben uns lange darüber Gedanken gemacht, wie wir damit umgehen wollen. Schließlich haben wir für uns den folgenden Leitsatz abgeleitet: “Wir prüfen kritisch Modewellen, erkennen die sinnvollen dahinterliegenden Prinzipien und helfen bei der ergebnisorientierten Einführung.” Am liebsten ist es uns, wenn wir neue Begriffe vermeiden. Letztlich geht es darum, sinnvolle Vorgehensweise zum Nutzen aller umzusetzen.
Und natürlich gibt es im digitalen Zeitalter äußerst vielversprechende Möglichkeit, die Kundenbindung zu erhöhen, aber auch Prozesse zu optimieren, weil zeitnah und ständig gelernt werden kann. Maschinen (genauer gesagt die Algorithmen dahinter) lernen, wie sie selbst Qualität und Produktivität steuern können.
Wenn wir aktuell im Zeitalter von Qualität 4.0 leben. Wo geht die Reise hin? Wird es irgendwann Qualität 5.0 geben?
Es gibt bereits den Begriff Industrie 5.0, der von der Europäischen Kommission erarbeitet wurde. Auch unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie, geht es bei Industrie 5.0 stärker um die Themen Resilienz (Fähigkeit, mit Störungen umzugehen), Menschlichkeit und umweltbewusstes Handeln. Industrie 5.0 als die menschlichere, nachhaltigere und resilientere Variante von Industrie 4.0.
Andere sprechen wiederum bei Industrie 5.0 von zentraler künstlicher Intelligenz und verwenden sogar den Begriff Industrie 6.0 für dezentrale künstliche Intelligenz.
Ich persönlich glaube, dass Qualität 5.0 den Menschen wieder stärker in den Vordergrund stellen muss. Wie arbeiten wir Menschen beispielsweise optimal mit selbstlernenden Algorithmen zusammen, um die Qualität sicherzustellen? Auch werden wir verstärkt von hybriden Künstliche-Intelligenz-Lösungen (Zusammenspiel von menschlicher und künstlicher Intelligenz) sprechen, die erklärbar sein müssen.
Dieses Thema, und viele andere, behandeln Sie in Ihrem gerade erschienenen Buch „Die digitale Transformation des Qualitätsmanagements“, welches auch die Grundlage für einige unserer nächsten Blog-Artikel bieten wird. Auf was dürfen wir uns im nächsten Blog-Artikel freuen?
Wir möchten gerne anhand von 9 konkreten Handlungsfeldern aufzeigen, welche Chancen die Digitalisierung für das Qualitätsmanagement bietet.
Herr Dr. Jöbstl, herzlichen Dank für das Interview. Wir freuen uns auf die weiteren Einblicke und den nächsten Blog-Beitrag.